Politische Situation auf Haiti und Berichte – Dezember 2019
Politische Situation auf Haiti – Dezember 2019
Auf Haiti erschweren die politischen Unruhen das tägliche Leben. Es gibt Demonstrationen, Straßenbarrikaden, Überfälle, geschlossene Geschäfte, Plünderungen, Knappheit von Benzin und bestimmten Lebensmitteln, entsprechend hohe Preise. Die Großimporteure halten gezielt Ware wie z.B. Mehl zurück, um die Preise hochzutreiben. Der Verkehr zwischen den Städten ist immer wieder ganz eingestellt. Entführungen haben in PauP (Port au Prince) wieder zugenommen. Bis Ende November wurden während eines Monats offiziell 49 Todesopfer der Unruhen gezählt, meist sind es Aktivisten. Nur einmal flog eine Handgranate auf einen vollbesetzten Bus, der komplett ausbrannte. Mehrere wichtige Krankenhäuser sind geschlossen, was Verlegungen unmöglich macht. So z.B. das große staatliche Krankenhaus in Les Cayes, das Krankenhaus La Paix in PauP, und das Bonne Fin in Cavaillon, das die wichtigste unfallchirurgische Anlaufstelle war. Ein Beispiel beschreibt Frau Brügmann: „Bei einem Neugeborenen, Sohn eines unserer Lehrer, bei mir entbunden, hatte ich den Verdacht auf eine schwere angeborene Fehlbildung, an der auch in Europa Kinder sterben, nämlich eine Ösophagusatresie, bei der ein Teil der Speiseröhre nur als Bindegewebsstrang angelegt und nicht durchgängig ist. Mit meinen einfachen Mitteln konnte ich natürlich nicht sicher sein. Der Weg nach Les Cayes war wegen der Unruhen nicht befahrbar, und das wichtigste Krankenhaus sowieso zu. Daher hatte ich Hugo gebeten, das Baby auf seiner Wochenendfahrt mit dem Auto seiner Familie mit nach Jeremie mitzunehmen, um erst einmal eine Diagnose zu stellen. Bei der Einfahrt in Jeremie flogen dann Steine auf das Auto, die Insassen haben es am Straßenrand stehen lassen und sind in ein fremdes Haus geflohen. Erst viel später konnten sie ohne Auto zum Krankenhaus durchkommen. Dort haben sie erst einmal mehrere Tage keinen Arzt gesehen, und als dann einer zur Verfügung war, wurde meine Diagnose leider bestätigt. Eine letzte Hoffnung war die Verlegung in ein Kinderkrankenhaus in Tabarre bei PauP, wo Amerikaner arbeiten, die schwierige Fälle auch mal in die USA mitnehmen. Die Inlandflüge waren aber über Wochen ausgebucht und bis wir eine Ambulanz bekommen konnten, war der Kleine tot.“
„Was wir besonders zu spüren bekommen ist, dass alle Ausbildungsstätten in den größeren Städten geschlossen blieben, Schulen, Berufsschulen und Universitäten. Einige Institutionen haben jetzt Ende November angefangen, andere sind weiterhin zu. Auch unsere eigenen Jugendlichen hingen dadurch in der Luft. Sie haben mindestens drei Monate verloren. Andere werden wohl ein Jahr verlieren. In PauP ist es noch schlimmer. Einige wenige Schulen machen dort jetzt auf, aber die Kinder und Studenten müssen unterwegs an Schießereien vorbei,“ berichtet Frau Brügmann.
Die Ingenieure der EWB Karlsruhe konnten nicht nach Haiti kommen. Es wäre sehr schwierig und gefährlich gewesen, eine Gruppe vom Flughafen die 150 km nach Beuamont durch die Barrikaden zu schleusen. Abgesehen davon gab es auch kein Baumaterial zu kaufen.
Es gab internationale Verhandlungen, Haiti unter ein internationales Protektorat zu stellen. Da aber dabei der jetzige Präsident nominell an der Macht geblieben wäre, hat die Opposition diese Lösung abgelehnt und angekündigt, die Unruhen trotzdem fortzusetzen.
Ein eindrucksvolles Bild kann man sich machen, wenn man die Reisebeschreibung von Frau Dr. Brügmann liest. Sie berichtet was sie von Beaumont bis zum Flughafen erlebt hat: „An den Tagen vor der Abreise hieß es, im Viertel Martissant werde wieder vermehrt geschossen, ich könne evtuell nicht durchkommen. Schließlich hieß es am Tag davor, es sei wieder ruhiger. Hugo [ein Vorstandsmitglied in Haiti – Anm. der Verf.], brachte mich früh morgens nach Les Cayes, dort war aber kein Bus zu bekommen, auch nicht einer der Kleinbusse, die sonst immer verkehren. Die Erkundigungen ergaben, dass die Strecke vor Miragoane blockiert sei. Um weiter zu kommen mussten wir auf dem Schwarzmarkt Diesel für den doppelten Preis kaufen, denn alle Tankstellen waren geschlossen. Wir fuhren dann also mit dem eigenen Auto, bis wir bei Fond des Nègres auf die Schlangen von festsitzenden Lastern und Bussen stießen. Dort bin ich dann auf ein Motorradtaxi umgestiegen. Ich habe etwa 20 Barrikaden gezählt. Meist hatten sie einen Laster auf der Straße quergestellt und rechts und links mit Felsbrocken und Baumstämmen ergänzt. Wenn sich hier ein Auto durchzwängt, ist es zwischen den Barrikaden gefangen und man kann es bequem ausnehmen. Manchmal konnte sich das Motorrad vorbeizwängen, manchmal gab es Umwege auf schmalen Pfaden. Während der ganzen Fahrt betonte der Fahrer, dass das ja jetzt viel schwieriger als geplant sei und dass ich noch was auf den gezahlten Preis drauflegen müsse. Weit und breit kein Polizist. In Miragoane habe ich dann einen Kleinbus bekommen, der ziemlich kriminell nach PauP raste, nur noch einmal durch eine Unfallstelle aufgehalten, und Martissant war absolut friedlich. Als mein bestellter Helfer in PauP am Morgen des Abfluges nicht pünktlich kam, wollte ich schon mal loslaufen. Da gab es bei meinen Gastgebern einen Aufschrei, weil gerade an diesem Morgen wieder viele Passanten in diesem Viertel mit Waffen bedroht und ausgeraubt wurden. Als der Helfer dann doch kam, habe ich ihn mit dem Koffer vorauslaufen lassen, so dass nicht zu sehen war, dass wir zusammengehören. Ein Bandit hätte sich dann eher den weißen Passanten ausgesucht und nichts bei mir gefunden.
Aber wir hatten Glück. In der Wartehalle am Flughafen habe ich dann das Gespräch von anderen Reisenden mitbekommen, die sich gegenseitig erzählten, dass sie regelmäßig auf dem Arbeitsweg von bewaffneten Dieben abgefangen werden, und es satt haben, jedes Mal für den Nachhauseweg zu bezahlen. Wer es sich leisten kann, setzt sich ins Ausland ab.
Neues von der Arbeit vor Ort:
Landwirtschaft:
Bei der Wiederaufforstung sind Erfolge zu verzeichnen. Letztes Jahr wurden 2000 Setzlinge gepflanzt: Fruchtbäume: Papayas, Stachelannone. Diese Bäume sind sehr wichtig als Erosionsschutz, Feuchtigkeitsspeicher und Umwandler von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff. Außerdem sind ihre Früchte wichtige Nahrungs- und Vitaminquellen.
Das Schwein Flavi wurde im November unruhig und kam auf Frau Brügmann zu. Sie wollte signalisieren, dass sie empfangsbereit sei. Schnell wurde ein Eber geholt und Flavi wurde gedeckt.
Auch bei den Hunden gibt es erfreulichen Zuwachs: zwei Welpen wurden zwischen den Felsen geboren, werden gut versorgt und sind wohlauf. Das Mädchen heißt Mila, der Junge Buki. Buki ist eine Figur aus einem Haitianischen Märchen. Die Hunde sind wichtig als Spielkameraden, aber auch als Wachhunde gegen Einbrecher.
Zwei Katzen wurden gestohlen. Katzen werden gebraucht, weil sie die Ratten bekämpfen. Es sind schon wieder zwei neue Katzen da. Sie heißen Tim und Cinderella. Tim ist nach einer Haitianischen Redensart genannt und Cinderella hat ihren Namen bekommen, weil sie so gerne in der warmen Asche liegt.
Medizin:
Nach wie vor kommen viele, viele Frauen, um zu entbinden oder zur Kontrolle bei Schwangerschaften. Ansonsten kommen vor allem Unfallverletzte und Kranke, die an Infektionskrankheiten leiden.
Es stehen täglich große Menschentrauben vor dem Tor. Bald ist Bürgermeisterwahl. Ein Kandidat meinte: der beste Platz für eine Wahlkampfveranstaltung sei das Tor von menkontre. Da würde man am meisten Menschen erreichen, weil hier immer Trauben von Menschen sich versammeln, die medizinische Hilfe benötigen.
Schule:
Die Schule ist geöffnet. Wegen der Unruhen können einige Schulen nicht besucht werden.
Kinder und Jugendliche in Schule und Waisenhaus:
Viele Schüler*innen helfen mit: Ein Schüler, der vor dem Abitur steht, hilft z.B. mit Noten bei den Examen in Excel einzugeben. Die Schüler*innen helfen auch viel mit, Dinge zwischen den beiden Standorten hin- und herzutransportieren. Essen wird an einem Standort gekocht und muss auch zum anderen Standort gebracht werden. Samstags sind die Schüler*innen in der Landwirtschaft tätig. Natürlich waschen sie auch ihre Wäsche selbst. Auch die Betreuung von jüngeren Kindern wird oft von älteren mitübernommen. In der Baumschule sind Schüler*innen ebenfalls eingebunden. Manche sammeln auch die Kerne der Tomaten, trocknen sie und geben sie ab, damit man Tomatensetzlinge ziehen kann.
Bauen:
Sozialwohnungen in der Stadt sind teilrenoviert. Dort leben ehemalige Schüler*innen, um eine Ausbildung zu machen. Kantine: Der Speisesaal ist fast fertig. Es gibt zwar noch keine Möbel, aber Platz! Der Platz bedeutet, eine große Entlastung. Auch die Regale sind in der Kantine eingebaut. Jetzt können Lebensmittel in größeren eingekauft werden, wenn es welche gibt. Es gibt nun genug Lagerkapazität. Momentan wäre es für die Ingenieure aus Karlsruhe aufgrund der Unruhen viel zu gefährlich nach Haiti zu fliegen. Aber es können auch Arbeiten ohne die Ingenieure verrichtet werden. Die Jugendlichen tragen z.B. Geröll vom Aushub in Handarbeit weg. Im kommenden Jahr stehen folgende Arbeiten an, wenn die Ingenieure wieder kommen können: Die Wasserversorgung muss in Angriff genommen werden. Die Zisterne muss fertig gebaut werden. Die Kantine braucht Gasanschlüsse, Gaskocher und die Wasserversorgung. Im Moment wird jemand gesucht, der ein oder mehrere Wohnhäuser in Holzbauweise in Fontrankil, dem zweiten Standort bauen kann. Dort werden dringend Wohnhäuser für die Kinder und Jugendlichen benötigt, die noch am alten, gefährlichen Standort wohnen. gebaut wird.